Urlaubsantrag vergessen? Urlaub ohne Ende.

Urlaubsantrag vergessen? Urlaub ohne Ende!

Im Januar 2019 habe ich hier einen Blogbeitrag veröffentlicht, der einen aktuellen Megatrend im Arbeitsrecht beschrieben hat: Die Umwälzung des Deutschen Urlaubsrecht zugunsten des Arbeitnehmers durch den Europäischen Gerichtshof. Wörtlich habe ich geschrieben:

„Das Thema ist durch neue Entscheidungen des EuGHs gerade hochaktuell – Neuerungen im deutschen Arbeitsrecht sind in Sicht.
Es gibt sicherlich viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die gerade jetzt, nach Jahresübergang, von den Entwicklungen betroffen sind!“

Nun bekommt die Thematik des Urlaubsrechts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine ganz neue Bedeutung.

Hier schreibt: Steffen Hahn, Rechtsanwalt aus Viersen.

Das Wichtigste

Das Bundesarbeitsgericht hat Säulen des Deutschen Verjährungsrechts beim Urlaub aufgegeben und folgt dem Druck des EuGH, der klargemacht hat:

  1. Urlaubsansprüche verfallen nur, wenn Arbeitnehmer dahingehend aufgeklärt waren, dass sie vom drohenden Verfall des Urlaubs zum Ende des Jahres oder spätestens zum 31.03. des Folgejahres aufgeklärt worden sind – vom Arbeitgeber! Diese Entscheidung erging bereits am 06.11.2018, AZ C-684/16.
    Hier ist also der Arbeitgeber gefordert, bei der Information seiner Mitarbeiter massiv aufzuholen und entsprechende Hinweise und Angebote zu machen!
  1. Die Deutsche Verjährungsvorschrift von 3 Jahren für die Urlaubsgewährung oder Urlaubsabgeltung findet nach neuer Rechtsprechung keine Anwendung. Die Verjährung beginnt damit nun nach der Entscheidung vom 20.12.2022 erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Was ist die bisherige Rechtslage nach deutschem Recht?

Das Bundesarbeitsgericht musste in letzter Instanz klären, ob Urlaubsansprüche einer stark beschäftigten Arbeitnehmerin in einer Steuerkanzlei für alle Jahre, in denen sie ihren Urlaub nicht genommen hat, verfallen und verjährt waren. Denn schließlich wollte sie nach ihrem Ausscheiden eine Abgeltung der Ansprüche haben – EUR 17.376,64 brutto. Nach Deutschem Recht wäre der Urlaub mit Ende des Kalenderjahres, spätestens ausnahmsweise zum 31.03. des Folgejahres bei Erkrankung des Arbeitnehmers oder dringenden betrieblichen Bedürfnissen dafür, dass er nicht im selben Jahr genommen werden konnte, verfallen. Gut für den Arbeitgeber, liebes Bundesurlaubsgesetz. In Frage kamen nach Deutschem Recht bei Ablauf der Frist Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber keinen Urlaub bis zum 31.03. des Folgejahres gewährt hat.

Außerdem gab es bisher einen unumstößlichen Grundpfeiler:

Die Verjährung. Grundsätzlich verjähren Ansprüche im Deutschen (Arbeits-)Recht drei Jahre, nachdem die Ansprüche entstanden sind und der Anspruchsberechtigte oder hier Arbeitnehmer von diesen Kenntnis erlangt hat. Sinn von Verjährung ist die Rechtssicherheit. Irgendwann muss ein jeder auch einmal Gewissheit haben, dass Ansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können. Oder? Das Bundesarbeitsgericht war europarechtlich verpflichtet, zur eigenen Sicherheit die Anwendung dieses Verfall- und Verjährungsrechts nun europarechtlich überprüfen zu lassen!

Was gibt es Neues aus Luxemburg?

Der EuGH hat am 22.09.2022, Aktenzeichen C-120/21 eine revolutionäre Entscheidung getroffen. Denn er hat schlichtweg deutlich gemacht, dass Deutsches Verjährungsrecht nicht immer greift. Die Säule der Verjährung gerät damit ins Wackeln! Denn:

Zwar hat das Luxemburger Gericht erklärt, dass Rechtssicherheit schon ihre guten Eigenschaften mitbringe. Aber diese gibt es in Form der Verjährung nur für „gute“ Arbeitgeber. Nämlich solche, die den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt haben. Wenn dann der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat, läuft die Verjährung. Wenn umgekehrt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen, könne er sich nicht auf Verjährung berufen. Denn dadurch habe er sich selbst in eine Situation gebracht, „in der er mit solchen Anträgen konfrontiert“ werde und überdies „zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte“.

Was kommt nun auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu?

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer sehr aktuellen Entscheidung am 24.05.2022 geurteilt, dass Urlaubsabgeltungsansprüche nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis den üblichen nationalen Verjährungs- und Verfallregeln unterliegen, AZ 9 AZR 461/21.Dies war allerdings vor der hier angesprochenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im September 2022! Daher entsteht hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit und es erscheint durchaus möglich, wenn auch nicht garantiert, dass Arbeitnehmer noch offene Urlaubsabgeltungsansprüche aus der Vergangenheit geltend machen können, wenn Arbeitgeber nicht die vom EuGH eingeforderte Informations- und Hinweiskultur in ihrem Umgang mit dem Arbeitnehmer geschaffen und eingehalten haben.

Daher ist die Entscheidung für die Praxis äußerst relevant! In Frage kommen verschiedene Informationsmöglichkeiten. Jedenfalls dann, wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nicht richtig über die Rechtslage informieren, werden Arbeitnehmer jedenfalls unbegrenzt Urlaubsansprüche der vergangenen Jahre einfordern können. Dann, wenn der Arbeitgeber nicht von der vorherigen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers profitiert hat, also wenn der Arbeitnehmer dauerhaft krank war, verfallen die Ansprüche im ersten Krankheitsjahr nur bei richtiger Information des Arbeitgebers, im Übrigen die Ansprüche der Folgejahre 15 Monate nach Beendigung des entsprechenden Urlaubsjahres.

Als Fußnote…

Europarecht und deutsches Arbeitsrecht verwachsen immer mehr. So hat der EuGH hier am 22.09.2022 eine weitere gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gekippt. An dieser Stelle zeigt sich die Komplexität des Arbeitsrechts auf verschiedenen Ebenen. Kommen Sie gerne als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber auf mich zur weiteren Beratung zu!

Lassen Sie sich rechtlich zum Thema Urlaubsanspruch beraten.

Lassen Sie sich beraten und vereinbaren Sie einen Termin! Ich berate Sie gerne per Telefon oder vor Ort in meiner Kanzlei in Viersen.

Steffen Hahn

0 21 62 – 571 57 00
info@kanzlei-hahn.net

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