Thermofenster bei Diesel-Fahrzeugen - die aktuelle Rechtslage

Thermofenster – BGH und EuGH Entscheidungen im Diesel-Skandal

Auch nach mehreren Jahren wird es im Bereich der Dieselfahrzeuge nicht langweilig. Im Gegenteil – es gibt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die besagt, dass Thermofenster nicht zulässige Abschalteinrichtungen sind. Mit dem Urteil vom 21. März 2023 hat der EuGH nun entschieden, dass bereits Fahrlässigkeit seitens des Fahrzeugherstellers für einen Schadenersatzanspruch ausreicht.

Was genau ein Thermofenster ist und welche Auswirkungen die neueste Entscheidung des EuGH hat, das erfahren Sie hier.

Hier schreibt: Steffen Hahn, Rechtsanwalt aus Viersen.

Was ist ein Thermofenster?

Ein Thermofenster, welches in zahlreichen Dieselmotoren eingebaut wurde, ist eine Abschalteinrichtung im Fahrzeug. Es fährt die Abgasreinigung herunter, wenn sich die Außentemperatur außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs befindet. Der Temperaturbereich kann dabei zum Beispiel in dem Bereich liegen, der für Abgastests der Hersteller vorgeschrieben ist (in der Regel 15 – 30°C). Tests für die Zulassung des Fahrzeugs im Straßenverkehr finden in der Regel auf Abgasprüfständen statt, bei denen die Temperatur in oben genanntem Bereich liegt.

Sobald die Außentemperatur dann unter 15°C sinkt oder über 30°C steigt, regelt das Thermofenster die Abgasrückführung herunter oder stellt sie ganz ab.

Die Abgasrückführung ist notwendig. Die Abgase werden im Normalbetrieb nach der ersten Rückführung zurück in den Motor geführt und erneut verbrannt. Dadurch reduzieren sich die umwelt- und gesundheitsschädlichen Emissionen. Durch das Herunterregeln der Abgasreinigung des Thermofensters werden nun aber weniger Abgase korrekt gereinigt. Das führt dazu, dass die geltenden Umweltrichtlinien von PKWs mit Thermofenster bei diesen Temperaturen nicht mehr eingehalten werden, z. B. der Ausstoß von Stickoxiden.

Wie begründen Hersteller der Fahrzeuge den Einsatz der Thermofenster? Sie begründeten die Nutzung mit dem Bauteilschutz, denn eine Herunterregelung sei notwendig, um einer Versottung von Motor und Abgasreinigung vorzubeugen. Versottung bezeichnet einen chemischen Prozess, bei dem Dieselabgase durch Harnstoff (AdBlue) von Stickoxiden befreit werden. Dabei entsteht durch Kohlenwasserstoff, Kondenswasser und Ruß auf die Dauer ein Schleim, der Motorleitungen und Komponenten der Abgasreinigung zusetzen kann.

Die EuGH-Staatsanwaltschaft widersprach dieser Auffassung bereits im April 2020. Eine Abschalteinrichtung sei nur dann gerechtfertigt, wenn unmittelbare Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beeinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeuges darstellen, vorliegen. Die Ausnahme gelte nicht für den Schutz vor Verschleiß und für die bloße Schonung des Motors.

Welche Hersteller haben ein Themofenster verbaut?

Ob in Ihrem Dieselfahrzeug ein Thermofenster verbaut ist, kann Ihnen aufgrund der Fülle an Marken und Modellen hier leider nicht pauschal beantwortet werden. Eine der bekanntesten betroffenen Motoren möchten wir Ihnen an dieser Stelle jedoch gerne vorstellen.

Mercedes

Bei den Daimler / Mercedes Diesel Fahrzeugen werden Thermofenster verwendet, die bei unter 7 – 10°C, je nach Modell und dem damit verbundenen Abgasreinigungsprinzip, die Abgasreinigung reduzieren. Betroffen sind alle Euro 5 und Euro 6 Diesel der Daimler AG.

VW

Als VW im Zuge des VW-Abgasskandals Millionen Fahrzeugen ein Software-Update aufspielen musste (Modelle mit Motortyp EA189), wurde dabei zwar die damals betroffene Abschalteinrichtung entfernt – im Zuge dessen aber ein Thermofenster aufgespielt. Betroffen sind neben Fahrzeugen mit Motortyp EA189 auch Fahrzeuge mit dem Nachfolgemotor EA288.

Diese Motoren finden sich auch bei den Tochtergesellschaften Skoda und SEAT.

Audi

Auch Audi hat Motoren mit Thermofenster eingesetzt, z. B. bei den Motorentypen EA 897 und EA 898, die auch in den Porsche Modellen Cayenne, Macan und Panamera verbaut wurden.

Opel

Bei Opel werden bei den Modellen Cascade, Insignia und Zafira Thermofenster verwendet, die bereits bei unter 17°C die Abgasreinigung reduzieren. Betroffen sind Fahrzeuge mit Abgasnorm Euro 6 aus dem Produktionszeitraum 2013 bis 2016.

Weitere Hersteller

Auch weitere Fahrzeuge, z. B. Transporter und Reise- sowie Wohnmobile von Fiat, Fahrzeuge von Jeep und von BMW sind betroffen.

Was sagen die Gerichte zum Thermofenster?

Die Auffassungen der Gerichte müssen wir etwas differenzierter betrachten.

Verschiedene deutsche Gerichte sahen das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung an und sprachen Klägern Schadenersatz zu. Dieser sah in der Regel so aus, dass die Kläger das Fahrzeug nach Abzug der Nutzungsentschädigung und gegen Schadensersatz des Herstellers zurückgegeben konnten.

Das Bundesgerichtshof (BGH), das oberste deutsche Zivilgericht, entschied im Juli 2021, dass allein der Einsatz eines Thermofensters nicht ausreichend ist, um einen Schadenersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Die Klage berief sich also auf Schadensersatz aufgrund sittenwidriger Schädigung, diese sah das Gericht nicht ausreichend begründet. Dafür bedürfe es weiterer Umstände. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern nicht eindeutig. (VI ZR 128/20)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2022 entschieden, dass Thermofenster grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtungen sind. Diese Auffassung bestätigte das Gericht im November 2022, indem es entschied, dass die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen Bescheide des Kraftfahrt Bundesamte gerichtlich vorgehen kann, bei denen Typen für Fahrzeuge genehmigt wurden, die eventuell mit Thermofenstern ausgestattet sind. Das sei laut dem EuGH grundsätzlich nicht zulässig, da dies dem Ziel der sauberen Luft widerspreche und solche Abschalteinrichtungen also nicht gerechtfertigt sein könnten.

Bereits im Juli 2022 hatte der Europäische Gerichtshof so entschieden. Anlass waren Klagen aus Österreich gegen Volkswagen.

Diese Entscheidungen haben allerdings noch nicht die Frage beantwortet, ob Käufer von Fahrzeugen mit Thermofenster einen Anspruch auf Schadenersatz gegen die Hersteller haben. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof steht hierzu aktuell noch aus. Ergänzung: Die Entscheidung ist im März 2023 gefallen.

Das Urteil des EuGH ist im März 2023 gefallen:
Fahrlässigkeit reicht für Schadenersatz aus

Der Käufer eines Kraftfahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist.

Ende März 2023 hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-100/21 entschieden. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs schützen die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2007/46) in Verbindung mit denen der Verordnung Nr. 715/2007 neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die Mitgliedstaaten der EU müssen berücksichtigen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs (also ein Diesel-Fahrzeug mit Thermofenster) gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz hat. Voraussetzung ist weiterhin, dass ein Schaden entstanden ist.

Das Gericht hat damit festgelegt, dass Schadenersatzansprüche bereits bei Fahrlässigkeit gegenüber den Fahrzeughersteller geltend gemacht werden können und es keinen Vorsatzes bedarf. Das EuGH bestätigt, dass die Interessen des Käufers, ein Fahrzeug zu erwerben, dass den gesetzlichen Anforderungen entspricht, geschützt werden müssen.

Ein festgelegtes Verfahren, um den Schadenersatzanspruch geltend zu machen, gibt es jedoch nicht. Auch einschlägige unionsrechtliche Vorschriften für die Schadensberechnung gibt es nicht. Die deutschen Gerichte werden nun zu prüfen haben, inwieweit jeweils ein Schaden entstanden ist und wie dieser an- oder abgerechnet werden kann.

Über diese Schritte beraten wir Sie gerne individuell und persönlich.

Welche Möglichkeiten haben Sie?

Sind Sie Eigentümer eines betroffenen Diesel-Fahrzeugs? Die Chancen auf Schadenersatz stehen – vor allem nach dem letzten EuGH-Urteil – gut. Lassen Sie sich individuell von uns beraten. Gerne stellen wir auch eine Voranfrage bei Ihrer Rechtschutzversicherung.

Stand: 29.03.2023

Lassen Sie sich rechtlich zum Thema Thermofenster beraten.

Lassen Sie sich beraten und vereinbaren Sie einen Termin! Ich berate Sie gerne per Telefon oder vor Ort in meiner Kanzlei in Viersen.

Steffen Hahn

0 21 62 – 571 57 00
info@kanzlei-hahn.net

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